"Finger weg von Kleist!"
Notiz in Deutsche Kultur-Wacht, 1933, Heft 14, S.14.
Der Erotomane Ferdinand Bruckner [1] - alias Theodor Tagger - vollendet zur Zeit ein Drama von Heinrich von Kleists Novelle "Die Marquise von O." [2] Wer die bisherigen Bühnenstücke Taggers kennt, weiß, daß sie alle nach der beliebten Melodie komponiert sind: "Das Lieben bringt viel Freud', das wissen unsere Leut'." Gegen die Schändung Heinrich von Kleists durch diesen Konjunkturerotomanen erheben wir jedenfalls rechtzeitig unmißverständlichen Einspruch. Wir werden die Aufführung eines Stückes, das eine der keuschesten Dichtungen unserer Literatur durch bloßes Berühren mit bewährt unsauberen Fingern besudelt, nicht dulden!
[1] Ferdinand Bruckner, 1891-1950, Dramatiker, gründete 1917 die avantgardistische Zeitschrift Marsyas; 1923 gründete er das Berliner Renaissance-Theater; 1933 emigrierte er nach Frankreich; 1936 nach den USA; sehr viele seiner Dramen sind stark von Sigmund Freud beeinflußt.
[2] Die Marquise von 0. erschien erstmals 1808; es handelt sich um die Geschichte einer Frau, die bewußtlos vergewaltigt wurde.
Aus: Wulf, Joseph: Literatur und Dichtung im Dritten Reichö. Eine Dokumentation. Gütersloh: Mohn 1963. S. 343.