An unsere Landsleute

Eine Gemeinschaft gilt es, deren Wurzeln tausendästig, einer Eiche gleich, in den Boden der Zeit eingreifen, deren Wipfel, Tugend und Sittlichkeit überschattend, an den silbernen Saum der Wolken rührt, deren Dasein durch das Dritteil eines Erdalters geheiligt worden ist.

Erfüllt von der gleichen Sorge um den Bestand unserer Nation, die Heinrich von Kleist vor 150 Jahren diese Worte sprechen ließ, haben wir uns entschlossen, "Die Hermannsschlacht" zu spielen. Dieses große nationale Drama, das in der Vergangenheit so oft verkannt, entstellt oder gar verfälscht worden ist, weil Kleist es nicht von chauvinistischen Überspitzungen freigehalten hat, ist in seinem Wesen für unser Vaterland heute wieder so aktuell wie damals.

Es ist unser fester Wille, unsere Stimme zum Zwecke der großen Einigung zu erheben, da wir nur gemeinsam der Gefahr begegnen können, die durch die gewaltsame und unnatürliche Spaltung unseres Vaterlandes heraufbeschworen wurde. Wir fühlen uns eins mit Heinrich von Kleist, der in der Zeit der Gefahr und Not, die Sache der Nation zu seiner eigenen machte.

"Ich wollte, ich hätte eine Stimme von Erz, und könnte sie, vom Harz herab, den Deutschen absingen ..."

schreibt er an seinen Verleger. Sein Anliegen ist auch das unsere und wir wollen mit unserer Aufführung alle die Bemühungen unterstützen, deren Ziel es ist, allen Deutschen ihre nationale Pflicht vor Augen zu stellen.

Wir, das Ensemble der "Deutschen Festspiele 1957", wollen teilnehmen an dem Ringen, das die besten Deutschen in West und Ost vereint. Wir fordern die friedliche, demokratische Wiedervereinigung Deutschlands! Wir fordern die Freiheit der deutschen Kunst für ein friedliebendes, demokratisches Gesamtdeutschland! Wir wenden uns gegen jeden Versuch, die besten unserer Dichter, Schriftsteller und Künstler zu diffamieren.

Im Interesse der Erhaltung der deutschen Einheit, der deutschen Kultur, im Interesse des Lebens unserer Nation erklären wir entschieden, gegen alle Bestrebungen angehen zu wollen, die die Spaltung Deutschlands durch die Stationierung atomarer Waffen, die Remilitarisierung und Refaschisierung, die der Tod der geistigen und künstlerischen Freiheit ist, verewigen möchten.

Wir rufen allen Künstlern in Ost und West, wir rufen jedem einzelnen unserer Besucher zu: Geht mit denen, die die Gemeinsamkeit aller Deutschen herstellen wollen, die für das Glück unserer Heimat kämpfen! Trennt euch von denen, die diesem Ziel entgegenarbeiten.

Es geht um unsere eigene Existenz!
Es geht um das Leben unserer Kinder!
Es geht um den Bestand der Nation!

DAS ENSEMBLE DER "DEUTSCHEN FESTSPIELE 1957“


Aus: Programmheft des Bergtheaters Thale, 1957