Karl Strecker
Kleist-Sonette
Die Eiche auf dem Grabe des Dichters flüstert im Nachtwind:
I.
Hier schläft ein Mann. Und glaubt mir, er schläft gut.
Ich schirm’ ihn treu mit weichen Wurzelhänden.
Die Heldenrast, sie könnte eins nur enden,
Nur eins entrisse ihn der Grabeshut:
Hört’ er den brit’schen Tronka-Übermut;
Der Kohlhaas- M i c h e l vor der Welt will schänden, –
Er spräng‘ empor und schlüg’ mit zorn’gen Händen
Die Leier: »Auf! zum Kampf um Gut und Blut!«
… Früh hingemäht ward seine reiche Jugend,
Doch sang er in unsterblichen Gesängen
Der Heimat Größe und der Väter Tugend.
Er fragte stolz: »Was gilt’s in diesem Kriege?«
Aus einer Sinfonie von Weltallklängen
Hört er die Melodie vom deutschen Siege.
II.
Ja, als sein Volk in tiefste Schmach gesunken,
Sein eigen Schicksal nichts als Nacht und Not –
Da hob er frei die Stirn zum Morgenrot,
Von Sehnsucht und von ew’ger Hoffnung trunken.
Aus Stahl und Stein blitzt klingend ihm der Funken,
Der Dichtung Flamme hell zum Himmel loht;
Ein siegreich Leuchten über Schmach und Tod!
Und wie ins dumpfe Nachtgeraun der Unken
Ein heller Adlerschrei – klingt seine Stimme:
»Die Feinde Brandenburgs in Staub! in Staub!«
So schmettert die Dommet im Kampfesgrimme.
Doch ach, sein Volk bleibt dieser Stimme taub,
Es ist nicht reif für kühne Heldenlieder,
In Staub, in Staub – zieht es den Sänger nieder.
III.
Wie seltsam dünkt verwandt in jenen Tagen
Mich unsre Zeit, wo laues Sich-Bedenken
Und feiges Zaudern – unsre Staaten lenken.
O deutsches Volk, wie lange willst du zagen?
Willst wehrlos du die Haut zu Markte tragen?
Klirrt dir kein Stahl in deinen Wehrgehenken?
Schon öfters vor Europas Spötterbänken
Standst du allein. Hol’ aus zum Schlagen!
Vor deutschen Hieben wußten sie zu fliehn!
O glaub’ es mir und meinem toten Dichter:
Ein fauler Friede schafft ein faul Gelichter.
Horch! Kleists Fanfare klingt von Fehrbellin!
Und aus der Nacht der Teutoburger Eichen
Ein lust’ger Hornruf zu Cheruskerstreichen.
IV.
Nachts streicht ein Sumpfhauch oft um meine Krone,
Er weht von dort, wo Nebeldünste glühen,
Ein Dächermeer von Purpur übersprühen,
Wo das Erröten steigt zur Himmelszone.
Dann glimmert es herüber wie zum Hohne:
»Wir sind die Rosen, die aus Tagesmühen
Der deutschen Hauptstadt nachts zu Häupten blühen.«
– Ich aber geb’ euch meinen Fluch zum Lohne!
Ihr leuchtet n i c h t bergauf! Irrlichter ihr!
Ein flach Geschlecht, das an der Stunde hängt,
Folgt euch – Tand, Hofgepräng und Krämergier.
Ihr, die ihr alles große Sehnen engt,
Hinweg, ihr Dünste! Daß auf Deutschland wieder
Zur Nacht die alten Sterne strahlen nieder.
V.
Ein Sternlied rauscht in deutschen Eichenbäumen
Von Männern und von Helden: klug im Rat,
Stolz auf ihr altes Schwert und kühn zur Tat,
Schlicht, wortkarg – ungewillt zu bangem Säumen.
Von ihnen wußt’ mein Dichter wohl zu träumen,
Sein Zorn warf in der »Hermannsschlacht« die Saat
Für künft’ge Ernten, die ihr reifen saht …
Darf nicht erzürntes Wasser tosend schäumen?
Darf nicht des Steins Geduld in Stücke brechen?
Bleibt nicht zur Wehr der Stachel selbst dem Wurme?
Polit’sche Dummheit ist ein Staatsverbrechen …
Ich biete meine Krone frei dem Sturme,
Ich alte Eiche aus der alten Mark,
Nicht jede Krone ist so opferstark.
VI.
Das Mondlicht spielt an Grabesgitterstäben,
Als ob ihr Eisen hell von Zähren glänze,
Es flicht sein Silber in die Totenkränze,
Die leis im Nachtwind flüstern und erbeben.
Seht ihr ums Grabmal lichte Geister schweben?
Im Dämmer zur Musik der Sphärentänze?
Das sind des Dichters ungelebte Lenze,
Die ihm ein grausam Schicksal nicht gegeben.
Sein unvollendet Träumen – Hoffen – Lieben
Ist nicht in meiner Wurzelfaust vermodert,
Oh: das ist treu bei seinem Volk geblieben;
Zu stark von seiner Herzensglut durchlodert,
Als daß es würgen könnt’ der Henker Tod –
Still! Über’m Wannsee glimmt das Morgenrot.
1911
Karl Strecker [1862-1933]
Aus: Minde-Pouet (1927), S. 55-57.