Karl v. Heigel
Heinrich von Kleists Grab

Im Juli war’s. Getränkt vom Sonnenstrahle,
Auf Busch und Rasen lag der Äther schwül.
Wir aber wanderten nach heit’rem Mahle
Durch Park und Flur mit jenem Lustgefühl,
Das stets im Grün beseelt, im freien Tale,
Den Flüchtling aus dem dumpfen Stadtgewühl.
Da plötzlich scholl von einem der Genossen
Der ernste Ruf: »Hier hat sich Kleist erschossen!«

Dies jähe Wort im Jubel faßt’ uns an
Und schüttelte wie Winterfrost die Glieder.
Der Schmerz verstummt, die Zungen sind im Bann,
Und auf den Lippen sterben hin die Lieder.
Die kurz vorher noch heit’re Spiele sann,
Die Seele, taucht in styg’sche Wogen nieder.
In unsern Kreis, den fröhlichen, trat Kleist
Als blutig Schattenbild wie Banquos Geist.

Für finst’re Taten nicht war  d i e s  Gefild,
Hier hätte Hölty süß den Lenz besungen,
Hier Hellas’ Sohn erbaut ein Venusbild
Und lächelnd es mit Rosen rings umschlungen.
Ihm aber hat der Friede, der hier quillt,
Im Busen nicht harmonisch nachgeklungen.
Sein Lebensbuch war halbbeschrieben kaum,
Er aber trank vom Becher nur den Schaum.

So jung unglücklich schon! So arm und reich!
Mit allem Glanz des Genius gerüstet,
Ein Geist, der denken  m u ß ,  und doch zugleich
Der Wahrheit flucht, nach der ihn stets gelüstet;
Ein Mann, vor dem die Grazie schreckensbleich
Sich flüchtet jetzt, mit dem sie jetzt sich brüstet – –
So webt ein Widerspruch in Kleists Natur,
Wie seine Tat verdüstert diese Flur.

Wohl lebtest du in Tagen tiefer Schmach,
Germania weinend saß im Witwenschleier;
Wehruf und Kettenklirren unterbrach
Der Musen süß Gelächter und die Leier.
Doch wer wie du die kühne Losung sprach,
Das Schwertlied sang von Hermann dem Befreier:
Der mußte nicht das sturmgepeitschte Boot
Verlassen in der Nacht vorm Morgenrot!

D e n  Göttern fremd, an die der Zeitgenossen
Poetenschwarm aus Ohnmacht sich verriet,
Hast du die Brust noch nicht genug verschlossen
Und  l a u s c h t e s t  manchmal dem Sirenenlied.
Ein Tropfen Gift ist dir ins Blut geflossen,
Der dich ins Wirrsal der Romantik zieht.
Das ist’s, daß du, der wieder Kraft uns lehrte,
Ins Nichts versankst, – weil es ein  W e i b  begehrte!

Uns aber  l e b s t  du! Mag der Brite prahlen
Mit Byrons Sang, der Wollust sucht im Schmerz.
Wir haben Kleist, durch dessen tiefste Qualen
Ein Lenzhauch weht, wie durch den Sturm im März,
der deutschen  M ä n n e r n ,  nicht Sardanapalen,
Ein Denkmal schuf, das dauernder als Erz,
Der, wenn er auch durch Nachtgebiete jagte,
Der Schönheit wohl, – der  W a h r h e i t  nie entsagte!

Er starb verkannt. Zum lyrischen Geschwätze
Von damals stimmte nicht sein herber Ton.
Doch jetzt gesundet »deutsches Volk«, jetzt hetze
Die Fremden ab, die Schlegel – Calderon!
Dort Heiligenschein, hier aber wahre Schätze,
Hier Kleist! Dem deutschen Dichter seinen Thron!
Wer nicht wie er will deutsch und kräftig singen,
Der mag um Orden, nicht um Lorbeer ringen!

Wenn jene tot sind, die dich einst verfemt,
Wirst  o h n e  Monument du weiter leben.
Doch wenn ihr euch des langen Undanks schämt
Und wollt auch ihm ein äußres Denkmal geben:
Dann der verirrten Felsen einen nehmt,
Die zwischen Zwerggesträuch und Sand sich heben,
Und grabt in großen Zügen ins Gestein
Den Namen H e i n r i c h  K l e i s t  – nichts weiter ein!

(Aus dem Nachlaß gedruckt 1911)


Karl v. Heigel [evt. Karl August von Heigel, 1835-1905?]
Aus: Minde-Pouet (1927), S. 42-44.
Letzte Strophe unter dem Titel »Kleists Denkmal« in: Saarbrücker Landeszeitung. 1927. Nr. 282. Beilage Gestesleben und Kunst der Gegenwart. 17. Oktober 1927. Vermerk: »Im Nachlaß Karl von Heigels fand sich folgendes Gedicht, das 1911 zu seinem 100. Todestag veröffentlicht wurde.«