Karl Röttger
Auf Heinrich von Kleist
Was ist es, das schon früh einsame Kinder schreckt,
Sie aus dem Schlaf des Unbewußten weckt?
Geschah dem Knaben Heinrich schon in Kindertagen
Ein Schlag aufs Herz? Wer kann die Antwort sagen?
Nicht der das fragt … Die Einsamkeit der frühen,
Der jungen Jahre, da ein Leben b l ü h e n
Und überschwänglich hold sein sollte –: hüllte
Ihn wie mit Schleiern ein – daß ihm der Blick
Verwandelt ward – und daß sich nichts erfüllte,
Wonach er gläubig war – nicht ein Geschick …
ES trennte ihn von Menschen, lieben, nahen, – –
(Ulrike, Schwester, Freundin, bräutlich fast)
Tief in ihm selber brannte seine Hast
Scheu und versteckt, daß ihm die Tage fast
im Schmerz geschahen …
*
Nennt es nicht »Ehrgeiz«, wenn ein Herz erdenkt
Ein Tatsein, dessen Keim in Sternen hängt.
Nennt nicht verwirrt, vermessen, wie ein Herz
Der Sonne gleich auf Bahnen himmelwärts
Als »Stoff« (zu schaffen) n u r den eignen S c h m e r z ,
Sein giftges Kranksein an der Welt, vorfindet.
Bedenkt die Mühe, die ihm bleibt zu tun,
Daß er das Chaos seiner Triebe bindet
In die Gestalt der D i c h t u n g , die (gegründet
Im Ungründbaren) k e i n e Statt zu ruhn
Auf Erden findet …
*
Des Dichters Sprache! Rätsel, unlösbar,
Ein Namenloses aus dem N i c h t s genommen,
Und steht so wirklich da, so wunderbar
Wie Licht im Heimathaus, wie Stern in Nacht entglommen.
Die Tat des Dichters ist: aus Nacht und Nichts
Zu singen und zu formen – Wunderschein!
Ein Niegewesenes und Wirklichsein!
Die Seele eines fürchterlichen Tatberichts,
Und Melodie des jenseits hergeholten Wahngedichts …
N i c h t Wahngedichts. Die Seele eines schweren
Nein, unsagbaren S c h i c k s a l s , das im Worte
Wähnt zu vergehn an Paradiesespforte,
(Wenn nur nicht diese grausen Z w e i f e l wären …)
*
Der Dichter, krank am Zweifel, sah nicht seine Tat,
Der in die Sterne fieberte, auf daß ihm werde
Von d o r t , was Dichtern nur wie eine Saat
Aus Geistleib wächst, aus schwarzer guter Erde …
Daß es ihm d e n n o c h wuchs – das Werk – er glaubte kaum
(Nachtwandlerischer Dichter) sein Vollbringen.
Er sang sich hin, zerquält, voll Schmerz, voll Traum
In seiner Einsamkeit, daß ihm sein Singen
Wie ausgelöscht schien und wie n i c h t gesungen …
So war er in sich selber eingebannt,
Der nach der Liebe durstig war, nach einer Hand
Von Einem! Und nach einem Mund, der spräche:
»Sieh, es i s t gelungen!«
*
Schon war die Umwelt ihm zur Unwelt ganz zerrüttet,
Der Sinn zum Unsinn, Menschgesicht zur Larve
(Davor er schrak); von Hölle seine heilge Kraft verschüttet …
Vom Wind zerschlagen seine hohe Harfe …
So g l a u b t e er's! Verwirrt, zerwühlt, zerschlagen,
Sah er nicht Ausblick mehr zu lichtern Tagen.
*
Und fing zu grübeln an; in sich zu lauschen
Und was die Urweltstimmen nächtger Winde rauschen.
Und fing zu sprechen an, in sich, mit der
Lang ungehörten »Stimme Irgendwer«,
Mit einer Stimme »Namenlos« und »Leis«,
(Die mit den Menschen Schritt hält und die alles weiß)
Die lebenslang mit allen Menschen geht
Und die – gestaltlos – eines Nachts ihm – steht …
*
Der Dämon spricht zu Kleist: »Dein Herz vereist,
Indeß dein Hirn wie glühende Sonne kreist.
K ü h l ' dein Gehirn, doch weck und wärm dein Herz.
Aus dem Raumlosen kehre erdenwärts …«
Kleist aber spricht die Antwort und sein Wort
Ist auf dem Weg vom Herzen schon verdorrt –:
»Ich tat von je, was ich v e r m o c h t zu tun –
Nur eine Frage quält noch: Wo ein Menschherz r u h n ,
Ausruhen kann von dem, was quält!
Und ob e i n Menschherz n i c h t im Zweifel schwält,
Ob e i n e s Menschen Tun das Ziel n i c h t fehlt –
Ich, der voll Seele war, bin schon entseelt …
Ich, – Jagender durch Erd- und Himmelsraum –
Begrabe heute meinen letzten Traum.
Ich – tatgeschwellt, an k e i n e n Platz gestellt,
Ich, der ins Nichts schuf, schmecke alle Welt
Wie große Bitternis – Was sprichst du, Hauch
Und Stimme, mir ins Herz, da all mein Geist
Im grauen Raum wie ziehender Rauch
Phantastisch schwebt – du sagst, mein Herz vereist?
Ich möchte schlafen … ein verfehlter Kleist …«
Der Dämon spricht: »Ich sprach zu dir soviel –
Du h ö r s t mich j e t z t erst, nahe deinem Ziel.
Sollt ich nicht wissen deines Geistes Hitze?
Schlügst du die Welt entzwei mit einem Blitze!!
Nein! Wenn du heimwärts gingst, zu Menschen ein,
Die menschlich wohnen, in den süßen Schein
Von einer L i e b e ! kehrtest du zurück
In deinen Anfang, in dein erstes Glück!«
*
»O Stimme, ich bin glücklos, Welt stieß aus
Mein maßlos Herz. Ich kehre n i e ›nach Haus‹.
Ich h a b ' s versucht! Ich wollte Rede stehn
Geliebten Menschen –! O der grausen Scham,
Die allen Irrlauf zu bekennen kam – – –
Sie aber grausten – mich n i c h t k e n n e n d ! W e n
D a s wie ein Blitz durchfuhr: ›Die Liebe hat
Dein Angesicht verlernt‹ –: find't keine Statt
Fortan auf Erden … Stimme, du betrügst
Mit vager Hoffnung fromm … Oder du lügst …«
*
»O Kleist, dess' Angesicht gen Aufgang steht,
Du hast verlernt das heiligste Gebet:
›Zur Not bin ich mir selbst genug.‹
Was schiert der M e n s c h dich noch
Raumangestiegener, nah höchstem Joch …?
So gehe a u s dem Menschraum wie aus einem Haus
Ins G r ö ß e r e . Doch lösche dich n i c h t aus.
Du machst nur einen Umweg, wenn du dich vernichtest,
Statt daß du groß dein Schicksal ganz verrichtest
Und es zu Ende und zum Anfang dichtest.
An jedem Ende quillt des Anfangs Laut
Süß aus dem Schicksal, das der Welt – vertraut.«
*
Kleist spricht mit bitterm Lachen in sich ein:
»Nun ist's genug! Stimme, laß mich allein!
Den Welt und Menschen: Gram und -Schmach behäuft,
Dess' blankes Tun im Meer von Haß ersäuft,
Der bettlergleich nun durch die Straßen läuft –:
D e r soll vertrauen? Nein, du Stimme sprichst
Zu einem Sterbenden ein Spottgedicht.
Herbstnebel macht das märksche Land blau, grau und trist,
Mich sehnt zu sterben, wie Natur gestorben ist.
Wenn die Natur des Herzens reif ward, o, was hält,
Den Geist noch in der Kälte dieser Welt?
Man darf doch jene andre Welt versuchen?
Hinweg gehn, o h n e d i e s e r Welt zu fluchen?
Wohlan, ich breche auf, zu neuer Tat.
Mich in den Raum zu sä'n als Zukunftssaat …
Nein, nicht als Zukunftssaat – ich will nur ganz
Voll F r i e d e n werden … Ich entsühne so
Die Welt und mich –: ich nehme m i r den Glanz,
Den Ruhm, den K r a n z , – – und i h r die Schuld … Wenn wo
Ein Herz auf Erden d i e s versteht, ist's gut!
Sich selbst zu ende – denken, d a s ist Mut,
Der Solchen ziemt, wie ich es einer bin – –
Die Tat ist klein; groß der Gedanke und der Sinn …«
*
(Der Dämon spricht zu den Menschen:)
»Ihr meint, i c h hätte ihn getötet? Nein!
Ich bin ein guter Geist. Ich töte kein
Herz, das sich müht; ich war nur sein
Zutiefst ertönendes Selbst … ihm nicht bewußt. –
So hielt er mich für ein Gespenst, mit dem man spricht
In Nächten voller Grauen. Zürnet nicht
Dem Friedelosen, der nur tat, was er gemußt …
Das Glück ist Gnade; dem nicht Gnade hold,
W i e kann der wissen, w a s er auf der Welt gesollt?
Was aber wollt' er auf der Welt als dies:
Ein kleines Glück, ein winz'ges Paradies …
Was ich aus ihm (zutiefst) i n s H e r z ihm sprach,
Das wurde nicht in seinen Tagen w a c h …
Denn, ach, sein Werk, dem Herzen abgepreßt –
In Bitternis, Qual, Schmerzen war ihm Pein,
Es hätt' ihm sollen größer noch, herrlicher sein –
Stand es im Urgrund nicht schon tief gegründet: fest?
Und o b – was läg' am Werk, s o es mißlungen wär' – –:
Sein Schicksal wiegt so ungeheuer schwer,
Daß es das giganteske Werk noch überschreit
Mit brüllender Stimme in die Ewigkeit.
Der aber wie kein andrer mit dem Tod gerungen,
Hat d o c h den Tod, indem er starb, bezwungen.
Er hat sein H i r n zerschossen, n i c h t sein Herz,*
Zu löschen – nicht das L e b e n , nur den Schmerz …«
*
(Ein Menschherz spricht:)
»Du Bruder in der Nacht, in die du dich
Hinabgesenkt, um endlich auszuruhn
Von Menschgequältsein … leise nah ich mich,
Um tief hinab zu schaun … Durch Dunkelheit
Seh ich als wie durch Glas in große Tiefe
Und finde dich an einer Quelle nun
Des Grunds ganz unbeweglich ruhn … wo du der Zeit
Entrückt bist, ohne Furcht, daß neu ein Schicksal riefe …
Du bist wie lauschend und wie hold im Traum;
Als wenn du träumend dächtest, lauschtest, aber kaum
Mit Willen noch, sondern in schlafendem Genesen …
Daß dich nichts störe! Und mein Wort sei leicht
Wie Hauch und Tau! – Die leise Liebe fühle,
Die dir ein Bruder da hinunter reicht,
Wo du in Hut und milder, süßer Kühle
Schlafwachsest in das ganz vollkommene Wesen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Hoch über dir im Raum weht Wind
Der Welten, kündend die Gewalt
Des Geists, daraus auch deine Worte sind …
Denn Sprache, geistgetrieben, aber blind,
Ist gleichen Wesens wie der Wind … und hallt
Im Raum der Welt, in Nacht: ob M e n s c h e n sind – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Sie w e r d e n noch. Im Höchsten aber kreist
Ein Licht, von dem wir sind … Stern, Flamme, Geist …«
*
(Schluß)
Mich dünkt, er ist schon heil und seine Augen schauen
Vollkommner Welt noch unerforschte Auen;
Und atmet Hauch des M ü t t e r l i c h e n – – Schon
Hält lächelnd, liebend sie, Marie, den Sohn.
Marie, schon seinen Erdentagen nah gewesen
In M e n s c h g e s t a l t , läßt ihn vom Schreck der Erdenhölle sanft genesen.
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* Heinrich von Kleist schoß seiner Todesgefährtin ins Herz, sich selbst aber durch den Mund ins Hirn.
1928
Karl Röttger (1877-1942)
Aus: Karl Röttger: Buch der Liebe. Gedichte. München: Georg Müller 1928. S. 56-64.
Wiederabdruck: Sembdner (2. Aufl., 1985), S. 105-113.