Hartwig Runolt
An Kleist

Toter bruder der mit blut mich nährte!
Seit ich knabe ward und dich erkannt
Schatten meiner Seele und gefährte!
Der sein mal mir eingebrannt –

In der stunde da ich dich beschworen
Der vereinung schauerlichem nu
Wurdest nochmal du zur welt geboren
Wurdest ich und ward ich du –

Und ich frevle über deinen frevel
Unter selbem fluch der dir verhängt –
Drohend steht die wolke schwarz und schwefel
Und der blitz hat mein gesicht gesengt.

Bruder lass dein Opfer mich vollenden!
Deiner qualen glut und eisiger firn
Drang in mich und brennt in meinen händen
Aus der wunde deiner stirn.

1933


Hartwig Runolt
Aus: Hartwig Runolt: Robert Guiskard. Tragödie. Köln: Strom Verl. 1933. S. 11.
Wiederabdruck: Sembdner (2. Aufl. 1985), S. 114.