Hans Kyser
Kleist-Epilog

I. Der Kranz

»Wach auf, mein lieber Herr!« – »Kind, Käthchen, still!
Ruft Hermann mich, mein Fürst? Wem jauchzt mein Freund Achill?

Prinz Friedrich, träumst du wieder?« – »Bruder, Duft
Von jungem Lorbeer schwankt durch die umflorte Luft.« –

Dumpf donnert auf das schwarze Todestor,
Strahlend tritt Hermes her, und brausend bricht ein Chor

Lebendiger Stimmen, Dank und Jubelschrein
– Die Schatten stöhnen auf – ins stumme Dunkel ein.

»Sosias, du Schelm, eitel ist Ruhm und Glanz!«
Fährt ihn der Dichter an. »Wem bringst du deinen Kranz?«

»Dir!« – Kniet der Götterbote ernst und hebt
Den Lorbeer ihm entgegen: »Nimm!« – Der Schatten bebt

Wie Rauch im Wind, will sprechen, streckt ins Licht,
Ins süße, stumm und tief, sein dürstendes Gesicht,

Als will er trinken, faßt den Kranz, – da schießt
Ein Strahl, ein brennender, aus seiner Brust und fließt

Ein blutiger Quell aus seinem bittren Tod
Und färbt den Lorbeer seines Volkes blutigrot.

Stumm schaudernd reicht er ihn zurück, genetzt
Von seines Herzens Tränen. Hermes weicht entsetzt.

Dumpf donnert zu das schwarze Todestor,
– Die Schatten stöhnen auf – und stumm ist's wie zuvor.

Nur um den roten Herzensquell gedrängt
Sammeln sich Rüpel, Helden, Könige, – jeden tränkt

In Qual verströmend der barmherzige Bach.
Duldend der Dichter schläft. Die Schatten werden wach

Zu alten Wonnen und im Dämmergraun
Spielen sie ihre Spiele, königliche Fraun

Kränzen den Schläfer sanft mit Asphodill,
Und ihm am Herzen trauern Hermann und Achill.

II. Die lebenden Dichter sprechen:

Was ruft ihr ihm? Was stört ihr ihn im Grab?
Er warf euch hin sein Werk, dann stieg er stolz hinab.

Er warf euch hin sein mächtig Herz und schwieg,
Den ungeheuren Schmerz warf er euch hin und schwieg.

Wir aber, seine Freunde, hätten wir
Erzengelstimmen euch zu rühren, hätten wir

Die Geißel, die der Herr im Tempel schwang
Zu züchtigen, Schächer euch, um euren schnöden Dank!

Wir wissen, wer er war und was er ließ,
Und wer den Herrlichen ins Grab hinunterstieß.

Ihr seid es, die ihr heute jammert: Kleist,
Wo gingst du Großer hin? – Und morgen Kleist zerreißt.

Die ihr vom Fürsten an ohn' Unterschied
Das Leere, Eitle kränzt, das Schwere, Große flieht.

Was fordern eure Dichter? Brot! – Doch Spott
Gebt ihr den Lebenden und Steine, wenn sie tot.

Noch einmal, Dichter, ruft: Ach hätten wir
Erzengelliebe euch zu rühren, hättet ihr

Doch Scham zu hören, was der Tag euch spricht,
Der Tag der Schmach: Ihr steht hier zu Gericht!

Und wollt ihr preisen: Preiset die Gebenden!
Was sind die Toten? Tot! Ehrt eure Lebenden!

1911


Hans Kyser (1882-1940)
Erstdruck in: Berliner Tageblatt, 20. Nov. 1911.
Wiederabdruck: Minde-Pouet (1927), S. 46-48. – Sembdner (2. Aufl. 1985), S. 40-42.