Ernst von Wildenbruch
Zum 10. October 1876
Du zum finstren Reich der Todten
Zürnend hingegangner Geist,
Dieser Gruß sei Dir entboten,
Unglücksel'ger, großer Kleist.
Laß ihn Dir hinuntertönen
Bis in's selbsterwählte Grab,
Todter, laß Dich heut versöhnen,
Wende Dich nicht grollend ab.
Nicht mehr will ich Dich erwecken
Zu dem Lebens Kampfgewühl,
Denn dies Leben war Dein Schrecken
Und das Grab war Dein Asyl.
Nur in selbsterschaffnem Traume
Sang Dein lechzend Herz sich Ruh',
Denn es fiel vom Lebensbaume
Tödtlich herbe Frucht Dir zu:
Sah'st das Vaterland gebunden
Dreifach in des Feindes Erz,
Weintest in die heil'gen Wunden
Dein verblutend Dichterherz.
Keines Lorbeers Zweige rauschten
Dir von einst'gem Ruhm die Mähr,
Nicht der Liebe Augen lauschten
Süß besorgend zu Dir her.
Denn das Volk, dem Du gesungen,
Schweigend ging es Dir vorbei,
Bis das Saitenspiel zersprungen
Mit dem letzten Klageschrei.
Doch das Leid, das Dich erschlagen,
War der Größe stolzes Leid,
Wohl denn, Größe wird Dich tragen
Rettend zur Unsterblichkeit.
Alle Qualen Deines Lebens
Deckt der Ruhm des Todten zu,
Keiner lebte noch vergebens,
Der so groß gewollt wie Du.
Neue Zeit ist aufgegangen,
All' Dein Sehnen ward zur That,
Rings umher die Fluren prangen,
Die des Feindes Fuß zertrat.
Und was rauschet auf und nieder
Wundersüß und wohlbekannt?
Stummer Sänger, Deine Lieder
Fluthen durch das deutsche Land.
Denn das Lied, das Du gesungen,
Starb nicht mit des Sängers Tod,
Und noch ist er nicht verklungen
Hermanns Kampf für Deutschlands Noth.
Und noch jauchzt das Herz der Männer
Und der Knaben Augen sprüh'n
Bei dem Lied vom stürm'schen Renner
An dem Tag von Fehrbellin.
Und so lang das Wort »ich lieb' Dich«
Noch von deutschen Lippen rinnt,
Wird es leben, jung und lieblich,
Heilbronns wonneholdes Kind.
Flicht die Zweige eng und enger,
Blühender Hollunderbaum,
Träume drunter, deutscher Sänger,
Deinen tiefen Dichtertraum.
1876
Ernst von Wildenbruch (1845-1909)
Erstdruck in: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Berlin, 7. Okt. 1876.
Wiederabdruck: Minde-Pouet (1927), S. 8-10 - Sembdner (2. Aufl. 1985), S. 16-18.