Marga v. Rentzell.
Am Grabe Kleists.

Zum 21. November.

Heinrich von Kleist! – Aus tausend Sonnenreichen
Senkst du zu jenem trüben Stern den Blick,
Der einst dein Ringen trug, dein hart Geschick,
Die höllentiefe Marter ohnegleichen.

Armsel'ges Schattenland war dir die Wüste,
In der – ein Pilgrim – dürstend du geirrt,
Von Fieberbildern grenzenlos verwirrt,
Die gleißend lockten dich zur Traumesküste.

Du griffst nach jedem Trank – erquickungsehnend,
Der deines Herzens Lechzen dir durchkühlt,
Hobst giftgeätzte Schalen – glutzerwühlt –
In ihnen Labsal und Erlösung wähnend.

Die Stirne brannte dir nach Sternenkränzen,
Der Dämon – jedes Dichters Fluch und Kraft –
Er, der des Genius Schöpferflammen schafft,
Riß dich mit Allgewalt zu Erdengrenzen.

Dein Vaterland – im Joch der Schande keuchend,
Die Not – ein Meer, das bäumdend dich verschlingt,
Dein Wille – der in Todestrotzen ringt,
Dann jäh den mitternächt'gen Schatten weichend.

An deinem Grab knie ich erschauernd nieder,
Mit einer Rose purpurdunkler Glut,
Sie schmiegt sich an den Stein: ein Tropfen Blut
Entquellend deinem Herzen immer wieder.

Denn deutsche Not peitscht dich aus Todesruhe,
Und Deutschlands Schmach klopft wuchtig an dein Ohr,
Aus ew'gen Träumen zwingt sie dich empor,
Und sprengt den Deckel deiner Sargestruhe.

Heinrich von Kleist – du lebst! – In heil'gem Sange
Braust deine Stimme stark das Freiheitslied,
Von deiner unerschöpften Kraft durchglüht,
Durchjaucht die Seele es mit Glockenklange.


Marga von Rentzell (1892- )
Aus: Unterhaltungsblatt der Täglichen Rundschau. 41. Jg. 1921. Nr. 268. 21. Nov. 1921