Detlev von Liliencron
An Heinrich von Kleist
Du Herrlicher!
Nur einen Sommertag,
Nur einen hellen Sommertag hindurch
Verlasse deines Himmels goldnen Saal
Und weil' als hoher Gast in unsrer Mitte.
Mit Rosen wollen wir und Zymbelschlag,
Mit Tanz und Liedern wollen wir dich feiern
An solchem Sommertag … weißt du, an solchem,
Wenn schon wir durch die Morgenträume hören,
Wie draußen jedermann dem andern ruft:
»Schön Wetter heut.«
Ein Nachtgewitter hat
Das Pflaster und die Gärten abgestaubt,
Der Schmetterling umspielt den Lindenzweig,
Und glühend trifft der Sonnenkuß die Blumen.
Im frohen Schwung erbeben Herz und Seele,
Das ganze Leben scheint in Fröhlichkeit,
In Lust und Licht, Gelächter hinzutändeln.
An solchem Sommertage schwebe nieder.
Des Reiches Schimpf und Schand sind längst getilgt.
Die Hohenzollern, unsre Könige halten
Das Kaiserzepter in der starken Hand,
Und über ihrem Throne flammt ein Stern,
Der seinen Glanz der weiten Erde wirft.
Den großen Kanzler zeig' ich dir: Tritt wo
Sein Fuß, das ist ein Gruß: es schallt die Welt.
Das dichteste Gedränge, Kopf an Kopf,
Verengt den Weg, auf dem wir dich erwarten.
Wir alle wollen jenen Dichter schauen,
Der Unvergängliches geschaffen hat.
An Fenstern, Söllern prunkt der Teppichschmuck.
Gewinde, Masten, Wimpel, Ehrenbogen,
Allüberall durch alle Straßen fort,
Sind deines Ruhmes der Willkommengruß.
Ich schwenke vor dir her das Siegesbanner;
Die Hälse recken sich: Er ist's, er ist's;
Und wo du schreitest, schwirren Lorbeerkränze.
In deinen Wolken zögerst du? … Wie … Lieber …
Die Hände hast du über's Herz geschlagen,
Das einst die kleine graue Kugel traf.
Und nun … die Rechte nimmst du von der Brust
Und zeigst, abwehrend, ihre Innenfläche
Und wendest langsam dich von uns …
Was soll's? …
Ah, nun erkenn' ich deine Schmerzgeberde:
Du möchtest nicht zum zweitenmal verhungern.
1889
Detlev von Liliencron (1844-1909)
Aus: Detlev von Liliencron: Gedichte. Leipzig 1889. S. 143-144.
Wiederabdruck: Minde-Pouet (1927), S. 18-19. – Sembdner (2. Aufl. 1985), S. 19-20.