Hertel, Johann Jacob
Gedanken bei dem bekannten Selbstmord zweier Verliebten in B****n.

Er sank der zärtlich Erdensohn
Zum Schlaf der scheuen Nacht,
Der weisen Vorsicht sprach er Hohn
In der Verwirrung Macht.
Die  P f l i c h t e n  hat er nicht betrachtet,
Da er sich mit der eig'nen Hand
Ein Leben weislich hochgeachtet
Im falschen Lichte nur entwand.
Die schleierlose Leidenschaft
Hat ihn auf ihren kühnen Wogen
Im wilden Strudel aufgeraft,
Und zu dem Selbstmord dann bewogen.
Vor allen Augen dieser Welt
Hat ihn sein frecher Schritt entstellt.

Er gab im frühlingsheitern Roth
Des Lebens schön und frei,
Sich einen unerlaubten Tod
Aus bloser Schwärmerei.
Kein and'rer Umstand – als die Liebe
Von einer  s t r ä f l i c h  fremden Art
Hat die verachtungsvollen Triebe
Im  W e r t h e r i s c h e n  Wahn gepaart.
V e r n u n f t l o s  war die Zärtlichkeit,
G e s e z l o s  selbsten das Bestreben –
Nur frevelhafte Sinnlichkeit
Kann dieser That den Anstrich geben.
Hier singt kein unpartheiisch Chor
Ein sanftes Lied der Schonung vor.

Auch  s i e  der  T h o r h e i t  Schäferin
Schwand der Verachtung werth –
Im Selbstmord mit dem Schwärmer hin,
Der seinen Stand entehrt'.
Kein  W e t t s t r e i t  freundlich freier Zeiten,
Der schon so viel beschönigt hat,
Erzähle unter Neigkeiten,
D e r g l e i c h e n  je als werthe That.
Entehrung füllte dann den Hain
Der alten  t e u t s c h e n  Väter,
Die Sittsamkeit wäre allein
Zum Spiele der Verräther.
Man kränzte dann vielleicht sogar
Der Thorheit Helden – am Altar.


Johann Jacob Hertel (1782-1851)
Aus: Hertel, Johann Jacob: Die neuesten vermischten Gedichte. Augsburg 1812, S. 260-261.