Paul Grotowsky
An Heinrich von Kleist
Der Maiwind harft sein Frühlied im Kamin …
Wie schwer von Sehnsucht diese Stunden ziehn!
Zu deinem Grab am Wannsee schweift mein Geist …
Ich grüße deinen heiligen Schatten, Kleist!
Wess’ Herz noch fühlt, sucht brennend deine Spur …
Gott hat zurückgestellt der Zeiten Uhr.
Die alte Schande, die dein Fuß durchschritt,
Schleift neu im Kot die deutsche Seele mit.
Der rote Schwarm, der ihr die Wege weist,
Hat keinen Odemzu von deinem Geist!
*
O dieser Tage Trug und Finsternis …
Daß uns so tief das Schicksal niederbiß!
Hart heftet sich an unsrer Sehnsucht Flug
Der Haß des Feindes, der uns niederschlug.
Daß wir ein Bettlervolk geworden sind,
Spricht hohl aus deinen Augen, deutsches Kind.
Der Feinde Rachsucht, armes deutsches Weib,
Verkümmert dir die Frucht im Mutterleib.
Der Fluch der Ohnmacht legt sich wie ein Bann
Auf deiner Hände Arbeit, deutscher Mann!
So sankst du, Deutschland, in der Völker Rat …
Dein Schwarz-Rot-Gold rahmt eine Missetat.
*
Doch unser hebstes Los? – hüllt eure Stirn –
Die Glut des Wahnsinns rast im deutschen Hirn.
Mein Volk, dich jagts auf deiner irren Bahn
Nur immer tiefer noch in Nacht und Wahn.
Mariä Sohn, der aus der Finsternis,
Aus Heidentum dich in die Sonne riß –
Und seiner Lehre lohnst du mit Verrat
Und seiner Kirche … Welche Freveltat!
Und dafür warfst du dich in irrer Lust
Dem Spuk des Ostens willig an die Brust,
Bis aus dem Schwall der Sündflut, die dich trug,
Sich Kain hob, daß er den Abel schlug! –
Horch, wie der Sturm es in die Wolken kreischt:
Deutschland, halt ein, eh’ du dich ganz zerfleischt!
*
Die Lüfte ruhn … Der Frühling schlummert drin …
Still kommt die Nacht, die Sterngebärerin.
Durch ihre Flöre träum’ ich in das Land
Der Sonne nach, die hinter Bergen schwand …
Weit hinter Bergen ging ihr Licht zur Ruh …
Komm, Mutter Nacht, trag uns den Sternen zu!
*
Heinrich von Kleist, der Väter tiefe Not
Warf dich in Nacht und riß dich in den Tod.
Heinrich von Kleist, der Enkel tiefste Nacht
Beglänzt ein Sternbild, deine Hermannsschlacht!
Paul Grotowsky (1863-1938)
Aus: Paul Grotowsky: Herz in Händen. Lieder aus deutscher Nacht und Not. Leipzig: Scholze 1924. S. 41-42.