Günther Emig
Johann Peter Lysers »Käthchen von Heilbronn« (1839/41)
Zwischen den Schildbürger-Geschichten und der in Irland angesiedelten Sage »Die Hexe von der Scollough-Schlucht« finden wir »Das Käthchen von Heilbronn« in Johann Peter Lysers 1838/39 erschienener Sammlung »Abendländisches 1001«.
Im Vorwort seiner Sammlung schreibt der Autor:
»Die morgenländischen Märchen der ›Tausendundeine Nacht‹ sind allbekannt, genugsam besprochen und nach Würden belobt. Der selige Hoffmann nannte sie ›das ewige Buch‹, und wahr ist es, daß sie bis auf den heutigen Tag nichts von ihrer Jugendfrische und ihrem eigentümlichen Reiz eingebüßt haben.
Warum existierte doch bis jetzt für das Abendland nicht eine ähnliche Sammlung seiner besten Märchen und Sagen? – Die Frage ist schon oft getan worden, das Warum aber hat noch keiner erklärt.
Ich werde es auch nicht, dagegen habe ich es unternommen, eine Sammlung der schönsten und gediegensten abendländischen Märchen und Sagen im Geiste der Tausendundeine Nacht zu veranstalten und dem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.
Deutschland, die Schweiz, Frankreich, Holland, Italien, Spanien, Portugal, Ungarn, England, Schottland, Rußland, Irland, Schweden, Norwegen und Dänemark werden mir abwechselnd den reichsten Stoff liefern.
Sämtliche Märchen und Sagen werden möglichst treu wiedererzählt, wie sie im Munde des Volks – in den Spinnstuben – leben. Doch wird ein affektiert altertümlicher Ton sorglich vermieden und deshalb, wo es erforderlich, ein und das andere Märchen in einer freien Bearbeitung – ohne alle Beimischung irgendeines fremdartigen, nicht zur Sache Gehörigem – gegeben werden.
Eine anziehende Originalnovelle wird sämtliche Märchen und Sagen nach dem Muster der morgenländischen Tausendundeine Nacht miteinander verbinden, und die Katastrophe derselben wird die letzte Nacht und somit das ganze Werk beschließen.«
Als Quelle für seine »Käthchen«-Erzählung gibt Lyser an: »Mündlich und nach Kleist«. Während letzteres für den mit dem Aufführungsschicksal des Kleistschen »großen historischen Ritterschauspiels« »Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe« Vertrauten noch erklärlich ist – so nannte Franz von Holbein seine 1822 im Druck erschienene Bearbeitung – gibt uns das »Mündliche« Rätsel auf, denn noch immer ist ungeklärt, woher Kleist seinen Stoff für das Schauspiel genommen hat. Greift Lyser auf Karl August Böttigers Flugblatt-These von 1819 zurück (»Bei seinen militärischen Streifzügen durch Schwaben fand Kleist die ganze Legende von Käthchen als eine Volkssage. Er bewahrte selbst das gedruckte Flugblatt noch auf, das er auf einem Jahrmarkte gekauft hatte.« (Dresdner Abendzeitung, 15. Dez. 1819)? Oder wie sonst soll man »mündlich« verstehen? (Stand: 2006) – Nachfolgend Lysers Text.
Dreihunderteinundsechzigste Nacht
Die Frauen weilten im Zimmer der von einer leichten Unpäßlichkeit heimgesuchten Claudine. Eduard ließ sich bei dem Freiherrn ansagen und wurde sogleich angenommen.
»Was führt Sie denn zu einer ungewöhnlichen Stunde auf mein Zimmer?« rief ihm der Freiherr freundlich entgegen.
»Mein Herz!« erwiderte dieser. Der Freiherr sah Eduard scharf, aber wohlwollend, obgleich ein wenig erstaunt, an und sagte weich: »Ihr Herz, mein junger Freund? Ist es Ihr Wunsch, sich näher zu erklären?«
»Darum komme ich«, fuhr Eduard etwas verlegen fort, »es werden hier immer Sagen und Märchen erzählt, aber ich komme ganz prosaisch, bevor Alma meine Empfindungen kennt, Sie zu fragen, ob Sie mir dieses teure Wesen zur Gattin geben wollen!«
» Und Alma weiß kein Wort?«
»Auf Ehre nicht! Trügt mich mein Herz nicht, so bin ich wiedergeliebt. Aber um keinen Preis soll sie etwas von meiner Liebe hören, wenn ich nicht gewiß sein kann, sie mit der Eltern Segen die Meine zu nennen. Wird mir dieser nicht, so verlasse ich schnell das Schloß, um nie wiederzukehren, und Alma wird mich im Gedächtnis behalten wie einen Bruder. Sollte sie aber dennoch durch mich ihren Frieden verloren haben, so möge sie mich nicht verwünschen. Ich kam nicht hierher, um sie zu betrüben, ich kam wieder seliger Hoffnungen voll!«
Der Freiherr reichte dem jungen Manne bewegt die Hand. » Wie gern macht’ ich!« Aber er seufzte. Kommen Sie morgen wieder, um dieselbe Zeit, da will ich Ihnen Antwort geben. Bis dahin sprechen Sie Alma nicht, versichern Sie es mir!«
»Auf meine Ehre!« versicherte Eduard fest und verließ das Gemach.
Dreihundertzweiundsechzigste Nacht
Als Eduard des Abends zum Freiherrn kam, voller Ungeduld, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, sagte ihm dieser freundlich, daß Er ihn mit Freuden seinen Sohn nennen wolle. Vorher aber, ehe er ihn mit Alma verlobe, habe er ihm noch ein Geständnis zu machen, das schwer von seinem Herzen ginge. Wolle Eduard nach Anhörung dieses Bekenntnisses noch sein Eidam werden, so sei sein liebster Wunsch erfüllt. Heute könne er nicht von der Vergangenheit sprechen, aber noch in diesen Tagen solle Eduard alles erfahren.
Der junge Mann mußte sich diesen Aufschub gefallen lassen, so unlieb es ihm auch war, und der Freiherr trat mit ihm in den Saal
Die Blinde bat Eduard um eine Sage, und dieser begann nach einigem Nachdenken:
DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN
Zu Zeiten des Kaisers Philipp von Schwaben lebte zu Heilbronn ein ehrsamer und wegen seiner Geschicklichkeit berühmter Waffenschmied namens Friedeborn. Er hatte von sieben Kindern nur eine Tochter behalten, aber dieses Kind war auch fähig, ihm die verlorenen zu ersetzen.
Käthchens Schönheit, obgleich sie vom Scheitel bis zur Sohle makellos war, wurde von jedem, der sie näher kannte, für ihren geringsten Vorzug gehalten. Ihre Güte, Frömmigkeit und Tugend übertrafen alle Körperreize, doch ihre schönste Zierde war, daß Käthchen von ihren seltenen Vorzügen gar keine Ahnung hatte.
Sie war ohne mütterliche Pflege aufgewachsen, und weder die alte Frau, welche sie in weiblichen Arbeiten unterrichtete, noch der Geistliche, welcher ihren Geist bilden sollte, waren besondere Lehrer, aber Käthchen bedurfte auch fast keiner Lehrer. Es schien, als solle das Mädchen sich nichts Fremdes aneignen, es war von Natur schon alles selbst.
Wenn Käthchen in ihrem zierlichen Anzuge über die Straße ging, sah alt und jung ihr nach. »Da geht das Käthchen von Heilbronn«, flüsterte einer dem andern zu, und Käthchen hörte es, ohne stolz zu werden. Sie grüßte, gerührt über solche Liebe, nur desto freundlicher.
Daß sie statt Käthchen Friedeborn das Käthchen von Heilbronn genannt wurde, kam daher, weil Käthchen nicht nur in Heilbronn, sondern in ganz Deutschland gekannt und geehrt wurde. Viele Fremde, Ritter, Grafen und Fürsten kamen in die Werkstatt ihres Vaters und in das Gemach, in welchem sich sein Waffenvorrat befand. Sah einer Käthchen, so fragte er auch nach ihrem Namen, und ging mit ihrem Bilde im Herzen von dannen, und wenn er dann in der Ferne von einem Ritter die Schönheit einer Dame preisen hörte, so sagte er seufzend: »Ach, sie ist doch nicht das Käthchen von Heilbronn!«
Und so erhielt Käthchen diesen Namen, und wenn die Ritter in Schwaben oder Sachsen, in Brandenburg oder sonstwo, beisammen saßen, so fragte einer den andern: »Habt Ihr schon das Käthchen von Heilbronn gesehen?« Oder sie sprachen zueinander: »Wie wird es wohl jetzt dem Käthchen von Heilbronn ergehen?!«
Dreihundertdreiundsechzigste Nacht
Heute fuhr Eduard in seiner Erzählung fort:
Viele stattliche Freier, reich und angesehen, schön und liebenswert, baten bei Meister Friedeborn um Käthchens Hand, und der Vater erwiderte jedem: »Herr, ich zwinge meine Tochter nicht, aber ich will mit ihr reden und sie fragen, ob ihr Herz für Euch spricht.« Und wenn er dann Käthchen fragte, erwiderte sie jedesmal: »Laßt mich noch bei Euch, lieber Vater, die Herren ehren mich mit ihren Anträgen, aber ich liebe von allen keinen so sehr, daß ich Euch gern verlassen möchte, um des einen oder des anderen Hausfrau zu werden.«
Und der Vater ließ ihr freien Willen. Aber die Freier zürnten ihr darum nicht, und ein jeder sagte nur seufzend: »Wer wird der Glückliche sein, welcher einst das Käthchen von Heilbronn heimführt?«
Das Käthchen aber war seit einiger Zeit so nachdenklich geworden, daß es allen im Hause, besonders aber dem Vater, auffiel. Sie redete oft mit sich selbst, dann saß sie wieder wie träumend da und fuhr erschreckt auf, wenn eines zu ihr sprach. Auf die Frage des Vaters: »Kind, was ist dir?« entgegnete sie selig lächelnd: »Ach Vater, weiß ich’s doch selbst nicht.« Der Vater aber merkte, daß ihr verändertes Wesen am Neujahr begonnen habe.
Als am Abend vor dem Pfingstfest Meister Friedeborn eifrig arbeitend in seiner Werkstatt saß, hielt ein Reiter auf einem stattlichen Schimmel vor der Schmiede, stieg ab vom Rosse, und der Meister erkannte in dem edlen Ritter, welcher zu ihm trat, den Grafen Friedrich von Strahl.
Er begrüßte den Meister und bat ihn, ihm die Schiene, welche an seiner Rüstung vom scharfen Ritt zersprungen sei, wiederherzustellen, und als sich der Waffenschmied bereitwillig bezeigte, nahm er Helm und Rüstung ab und setzte sich nieder, leutselig mit Friedeborn plaudernd, welcher den hohen Grafen wohl kannte, obgleich er seit Jahren nicht in seine Schmiede gekommen war.
Fröhlich ließ er durch den Lehrbuben dem Käthchen sagen, es solle Wein und Becher bringen, und obgleich ein anderer Ritter jetzt an nichts gedacht haben würde als: »Das Käthchen kommt!«, so brachte bei dem Grafen von Strahl ihr Name doch gar keinen Eindruck hervor, denn der Graf war, obgleich edel und leutselig, doch viel zu stolz, um darauf zu hören, wenn andere Edle das Bürgermädchen rühmten. Er pflegte zu sagen: »Zur Gemahlin eines Ritters ist ein Bürgermädchen zu gering und zum Scherzen zu gut.«
Hier hielt der Erzähler inne und versprach morgen die Fortsetzung.
Dreihundertvierundsechzigste Nacht
Käthchen tat, wie der Vater befohlen, und trat ein mit der silbernen Kredenzplatte, auf welcher sich der Krug mit Wein und zwei Becher befanden.
Sie verneigte sich sittig vor dem Grafen, doch als dieser sich umschaute und sie in seine großen blauen Augen blickte, ließ sie Platte und Geschirr fallen und stürzte mit gekreuzten Armen und dem Ausrufe: »Mein hoher Herr!« zu des Grafen Füßen.
Der Graf trat erschreckt einen Schritt zurück und rief unwillig aus: »Was ist der Dirne?« – Als aber Käthchen zu ihm aufblickte, erglühend wie die weiße Rose im Morgenstrahl, da blieb er wie angewurzelt stehen und sagte, auf sie deutend, von der Reinheit des Mädchens gerührt: »Jungfrau, Friede sei mit dir!«
Meister Friedeborn trat hinzu, Käthchens Ungeschick zu entschuldigen. Das Mädchen hörte, versunken in des Grafen Anschauen, den Vater nicht, und dieser lächelte nur.
Käthchen entfernte sich, und der Graf fragte noch einmal: »Was ist der Dirne? Pflegt sie bisweilen so zu sein?« Der Vater verneinte, und der Graf lächelte noch einmal.
Sein Harnisch war fertig, der Graf legte ihn wieder an, und Gottschalk, sein Knappe, führte den Gaul des Grafen vor. Doch in demselben Augenblicke, als derselbe auf das Roß stieg und davonreiten wollte, öffnete sich im zweiten Stockwerk der Schmiede ein Fenster, und mit dem Ausrufe: »Mein hoher Herr!« stürzte sich Käthchen aus dem Fenster auf das Straßenpflaster zu den Füßen des Grafen nieder.
Jammernd kamen Meister und Gesellen und die treue Magd heraus auf die Straße, ihr totes Käthchen zu holen. Käthchen lebte noch, schlug die Augen auf, aber ihre Glieder waren gelähmt, ihre Füße gebrochen.
Der Graf saß noch unbeweglich auf seinem Rosse, und als sie die Augen aufschlug, flüsterte er: »Sie lebt, den Heiligen Dank!« Und als Käthchen in das Haus getragen ward, warf er der Magd eine schwere Börse zu, mit den Worten: »Zu Käthchens, zu der Jungfrau Pflege!«
Dann sprengte er errötend davon und murmelte verdrießlich: »Ich Tor, als ob das Leben eines solchen Mädchens zu bezahlen wäre.«
Meister Friedeborn sandte sogleich nach dem berühmtesten Heilkundigen, den er nur immer wußte. Als dieser kam, lag Käthchen im Fieber, aber immer sprach sie vom Grafen Strahl, welcher ihr Engel sei, den sie schon lange kenne und im Herzen trage, dem sie ihr ganzes Leben weihen wolle, daß der alte Vater ganz erstaunt und betrübt wurde.
Dreihundertfünfundsechzigste Nacht
Begierig, mehr von dem lieblichen Käthchen zu hören, sammelten sich diesen Abend alle um Eduard, welcher in seiner Erzählung fortfuhr:
Vier Wochen waren verstrichen, da kam eines Tages der Graf von Strahl mit seinem Knappen vor die Schmiede geritten, und als er hörte, daß die Jungfrau wieder gesund sei, sprach er lächelnd: »Das freut mich!« und sprengte lustig davon gen Worms.
Als Käthchen erfuhr, daß der Graf nach ihr gefragt, lächelte sie still vor sich und flüsterte: »Das wußt’ ich wohl, daß er nach mir fragen würde.« Dann schloß sie die Augen und sprach kein Wort mehr.
Am anderen Morgen war Käthchen aus dem Hause ihres Vaters verschwunden und ward vergebens gesucht, und die Magd kam endlich zögernd herbei und bekannte, sie habe früh das Käthchen aus dem Gemache heraustreten sehen, ihr Bündelchen unter dem Arme, und habe gefragt: «Jungfer, wo wollt Ihr hin?« Und sie sei eilig die Treppe hinabgegangen, mit den Worten: »Nach Worms, zu meinem hohen Herrn, dem Grafen von Strahl. Gott helfe mir, ich kann nicht anders!« Und die Magd habe nicht gewagt sie aufzuhalten, weil sie das Käthchen so liebe und wohl wisse, daß sie nichts Böses tun könne.
Meister Friedeborn war außer sich über des Töchterleins Entweichen und sandte Boten nach Worms, und machte sich selbst auf, sein Käthchen zu holen. Als er nach Worms kam, fand er sie bei dem Grafen Strahl, aber nicht in seinem Gemache, im Pferdestalle saß sie, und als sie den Vater sah, fiel sie ihm um den Hals, bat ihn um Verzeihung, daß sie von ihm gegangen und sprach, die Hände auf das Herz legend: »Glaubt mir, mein Vater, ich wäre nimmer von Euch gegangen, wenn ich nicht mit dem Grafen ziehen müßte!« Friedeborn sah sein Kind betrübt an, schüttelte wehmütig den Kopf und sprach: »Käthchen, armes Käthchen, mit dem Grafen kannst du nicht ziehen. Ich bin gekommen, dich heimzuholen.« Da bat ihn das Mädchen, es hier bei dem hohen Herrn zu lassen, und als der Vater heftiger in sie drang, ihm zu folgen, wandte sie sich ängstlich von ihm ab, und schrie, auf den Grafen zueilend, welcher eben die Stiege herabkam: »Mein hoher Herr, schützt mich vor meinem Vater. Laßt mich nicht von Euch!« Der Graf sah das Mädchen staunend an und sprach: »Käthchen, du mußt dem Vater folgen, bei mir kannst du nicht sein.«
Sie aber bat ihn solange, bis der Graf befahl: »Du gehst mit deinem Vater!«
Da nahm sie ihr Bündelchen, flüsterte unter Tränen: »Ihr wollt es, Gott segne Euch. – Ach, Ihr tut es nur des Vaters wegen, daß Ihr mich von Euch stoßt!« – Und ging nun still und gehorsam mit dem Vater heim.
Der alte Mann wollte sie schelten, aber als er in ihr klares Auge geschaut hatte, vermochte er es nicht und sagte nur: »Mein armes Käthchen!«
Dreihundertsechsundsechzigste Nacht
Das Käthchen war nun wieder daheim, aber ihr Frohsinn war nicht mitgekommen. Traurig saß sie in ihrem Gemache, verschmähte Speise und Trank und weinte Tag und Nacht. Jeden rührte des Käthchens Leid, keiner sah sie wegen ihrer Flucht nur mit einer scheelen Miene an. Wie konnte das Käthchen gescholten werden, war es doch nun wieder da, Heilbronns Zierde und größter Schmuck.
Der Vater umfing sie mit doppelter Liebe, da lächelte sie, aber durch Tränen, denn des Nachts träumte sie von dem Grafen Strahl, und am Tage dachte sie mit Sehnsucht sein.
Da kam auf einmal Kunde von einem großen Turnier, welches zu Mannheim statthaben solle und an dem Edle des Landes Anteil nehmen würden, und das Käthchen dachte: »Der Graf Strahl ist wohl auch dabei«, und verließ wieder des Vaters Haus und ging mit ihren zarten Füßchen nach Mannheim, wo sie auch den Grafen fand.
Sie ging sogleich zu ihm, doch als er sie hart anließ wegen ihres abermaligen Kommens, ging sie leise und demütig aus dem Zimmer und hinab in den Stall. Dort bettete sie sich zu den Füßen seines Leibrosses und wusch und nähte für den Grafen wie eine Magd.
Da trat des Grafen alter Leibknappe, welcher Käthchen wie ein Vater liebte, zu ihr, sprechend: »Wie mögt Ihr doch Euer weiches Lager in des Vaters schmuckem Hause verlassen, um hier auf Stroh im Stalle zu ruhen, der solcher Jungfern Gemach doch nicht ist! Ei, Käthchen, was wird man von Euch denken? Das Käthchen von Heilbronn bei den Pferden? Da Euch der Graf hart anfährt und von seiner Türe wies?«
Die Jungfrau lächelte und sprach: »Laß mich nur, alter Gottschalk, ich tue nur, was ich tun muß, du wirst mich nicht ändern und kein Mensch auf der Welt!«
Der Graf war unwillig über sie und besorgt. Er sandte sie mit seinem Knappen dem Vater heim und ließ ihm sagen: »Er solle sein Mädchen besser hüten, es sei voll Träumereien und gar seltsam.« Und Friedeborn nahm sie ohne Vorwurf auf, aber Käthchen weinte wieder Tag für Tag.
Dreihundertsiebenundsechzigste Nacht
Als Graf Strahl von Mannheim auf sein Schloß kam, bewillkommnete ihn seine Mutter mit kummervoller Miene.
Er fragte liebevoll nach der Ursache ihres Kummers, und sie entgegnete: »Wie soll ich mich nicht betrüben, wenn mein Sohn, bisher die Blume der Ritterschaft, eines Bürgers Tochter mit sich herumführt, ja mir wohl endlich gar das ungesittete Bürgermädchen als Tochter in das Schloß bringt, dessen Frauen bis auf den heutigen Tag nur aus den edelsten Geschlechtern entsprossen sind?«
Der Graf lächelte schmerzlich und antwortete: »Fürchtet nicht, edle Mutter, daß Euer Sohn unritterlich handeln wird. Ich habe weder das Mädchen mit mir herumgeführt noch gedenk’ ich es zu meiner Hausfrau zu erheben. Obgleich das Käthchen von Heilbronn alle Edelfräuleins an Unschuld und Schönheit übertrifft und ich weinen möchte, daß es kein adeliges Fräulein ist. Scheltet mich, Mutter, daß ich, obgleich ein mächtiger Graf, bisweilen von dem Wiesenblümchen träume, das Mädchen aber schelte nicht, es ist engelrein und mir gefolgt, wie das Kind aus Herzenstrieb der Mutter folgt.«
Die Gräfin schwieg von nun an über das Mädchen, aber sie bat ihren Sohn, sooft sie Gelegenheit fand, sich bald mit einem schönen, edlen Fräulein zu vermählen, was ihr der Graf auch endlich versprach, um sie zu beruhigen.
Eines Tages, als der Graf auf seinem Wege zu einem Freunde Heilbronn vor sich liegen sah, sprach Gottschalk, welcher hinter seinem Herrn ritt: »Mit Gunst, Herr Graf, sollte nicht das Käthchen von Heilbronn wiederkommen?«
»Schweig, du Narr, die Dirne wird nicht immer so toll sein«, sprach der Graf unwirsch und ritt um die Stadt herum, damit er das Mädchen vermiede.
Er hatte aber kaum die Stadt hinter sich, so sah er auch schon das Käthchen vor sich hergehen.
Er tat, als ob er sie nicht bemerkte, und ritt doch unwillkürlich langsamer. Wie nun die Nacht hereinbrach und der Graf dichten Wald vor sich erblickte, dachte er daran, was aus der Jungfrau werden solle, und rief ihr in rauhem Tone zu: »Was schaffst du hier?«
Da kreuzte das Mädchen die Arme über die Brust, und sagte mit solcher Innigkeit: »Herr, ich wollte Euch sehen«, daß er kein Wort hervorbringen konnte, und als er nach einer Pause fragte: »Woher wußtest du, daß ich hierherkommen würde?«, entgegnete sie sanft: »Mein hoher Herr, ich weiß allezeit, wo Ihr seid!«
Da wandte der Graf sein Roß und ritt langsam nach Heilbronn zurück und hieß dem Gottschalk das Mädchen mit auf sein Pferd nehmen, und als sie die Stadt erreicht hatten, befahl der Graf dem Käthchen abzusteigen und heimzukehren zum Vater, und als sie trübselig dem Gebote folgte, sprengte er mit seinem Knappen wieder fort.
Dreihundertachtundsechzigste Nacht
Der Morgenstrahl beleuchtete die Gegend, die Lerche sang ihr Frühgebet, die Menschen schliefen noch in sanfter Ruh, als der Graf von seinem Streifzuge mit Gottschalk heimkehrte.
»Was schimmert denn weißes vom Burgtor herab?« sagte der Graf zu dem Knappen, und näherkommend erkannte er einen weißen Zettel, mit der Ladung, vor der heiligen Feme zu erscheinen.
Der Graf wollte auffahren und rief zornig: »Was wollen sie von mir? Meinem tadellosen Wandel kanns nicht gelten, denn ich denke, von den Untugenden der Ritter keine zu haben. Soll ich etwa einen Zeugen abgeben? Ich mische mich in fremde Händel nicht, und macht mich der Zufall zum Zeugen, so bleib ich nicht stumm, gilt es, einen Unterdrückten zu retten, ja, ich schlage wohl auch mit dem Schwerte drein, aber ein Verräter bin ich nicht!«
Da gedachte er seiner Mutter und daß die Vorladung sie mit Angst erfüllen würde, und schnell riß er den Zettel ab, gebot Gottschalk zu schweigen, und nahm sich vor, um Mitternacht sich auf dem bestimmten Platze einzufinden.
Der Graf ließ auch nicht auf sich warten. Geduldig ließ er sich die Augen verbinden und folgte seinen Führern in das unterirdische Gemach. Hier wurde dem Grafen die Binde abgenommen, und zu seinem nicht geringen Staunen erblickte er als Kläger vor sich den Meister Theobald Friedeborn aus Heilbronn.
Schon wollte der Angeklagte den Mund zur Frage öffnen, doch der Meister der Feme kam ihm zuvor, indem er zu Friedeborn sprach: »Und wessen klagest du hier den Grafen von Strahl auf Strahlenburg an?«
Der alte Mann sprach bewegt: »Ich klage den Grafen Strahl der gottlosesten Zauberei an, denn er hat mir mein Kind, mein Käthchen, verzaubert, daß sie Vater und Freund verläßt und dem Grafen von Strahl folgt, wohin er seinen Fuß wendet, und ohne auf meine väterlichen Bitten zu hören, nicht eher von ihm weicht, als er es befiehlt!«
Der Meister der Feme wandte sich fragend an den Grafen: »Ist’s so, wie dieser Mann sagt?«
»Ja, edler Herr, es ist so, und fast möcht’ ich selbst an Zauberei glauben, wüßt ich mein Herz und meinen Sinn nicht rein, und wäre das Mädchen nicht ein Engel, dem keine böse Macht etwas anhaben kann.
Ich hatte am Vorabend vor Pfingsten die Werkstatt des Meisters verlassen und wollte mich eben auf mein Roß schwingen, als das Mädchen, welches ich wenige Minuten vorher noch in der Werkstatt gesehen, sich zum Fenster herausstürzte zu meinen Füßen und leblos auf die Steine niedersank.
Mich jammerte das Dirnlein, aber helfen konnt’ ich nicht, und so ritt ich fort, den Sinn gar bald auf andere Gegenstände richtend.
Vier Wochen später komme ich wieder durch Heilbronn, das Mädchen fällt mir ein, ich frage und bekomme zur Antwort, es sei wieder gesund.
Drauf reit’ ich fort und bleibe die Nacht unfern der Stadt. Als ich aber am anderen Morgen vor mich hinsehe, geht ein Dirnlein vor mir her, und Gottschalk sagt: ›Da geht das Käthchen von Heilbronn.‹
Ich halte mein Pferd an und frage: ›He, Mädchen, wo gehst du so allein hin?‹
›Nach Worms, mein hoher Herr, ich habe ein Geschäft allda.‹
So, sag’ ich gleichmütig und erlaube ihr, sich zu uns zu halten. Des Nachts schlief sie im Stalle, und mein Knappe gab ihr eine Pferdedecke zum Zudecken. Und so erfuhr ich denn erst später, daß sie, solange ich in Worms verweilte, im Stalle geblieben sei und für mich genäht habe.
Drauf kam ihr Vater, sie zu holen, aber sie ging nicht eher mit ihm, als bis ich es befahl, und selbst dann noch mit Tränen.«
»Seltsam!« riefen die Richter aus, und Eduards Zuhörer wiederholten das Wort, denn diese Begebenheit schien ihnen wunderbarer als das bunteste Zaubermärchen.
Eduard brach seine Erzählung ab.
Dreihundertneunundsechzigste Nacht
Der Erzähler fuhr fort: »Ich habe den Grafen vor dem Femegericht gelassen, welcher mutig und mit Ruhe weitersprach.«
»Noch zweimal ist mir das Mädchen gefolgt, das erstemal ließ ich sie durch Gottschalk zu ihrem Vater zurückbringen, das anderemal kehrt’ ich unterwegs um, gen Heilbronn reitend, und der Dirne streng befehlend heimzukehren. Weiter kann ich Euch nichts vertrauen, fragt das Mädchen selbst, ob ich jemals heimlich mit ihr gesprochen, sie geliebkoset, ob ich ihr je einen Trank gereicht, noch sonst Zeichen über sie gemacht oder ein Kleidungsstück von ihr erhalten habe.«
Der Herr der Feme ließ das Mädchen vorführen, doch kaum war ihr die Binde abgenommen, so eilte sie auch schon mit dem Ausrufe: »Mein hoher Herr!« auf den Grafen zu und stürzte vor ihm nieder auf die Knie.
Der Graf befahl ihr aufzustehen und auf alle Fragen die reine Wahrheit zu sagen.
Sonder Scheu wandte sich nun das Mädchen zu den Richtern, und ihre Aussagen stimmten vollkommen mit den Worten des Grafen überein. Da nun der Richter fragte, warum sie dem Grafen allenthalben folge, legte sie beide Hände auf das Herz und sagte hocherrötend: »Und gelte es mein und meines Vaters Leben, gelt es des Grafen Leben selbst, ich kann Euch nichts sagen als ich folg ihm, weil ich muß, mein Herz treibt mich, ich weiß es nicht warum, dazu.«
Die Richter fragten nun nicht mehr, sie stimmten ab, der Graf wurde für unschuldig erklärt, und der Meister der Feme sprach zu Friedeborn: »Geht mit Gott, Meister, bringt bessere Beweise, daß der Graf ein Zauberer ist, bis dahin schweigt über ihn und hütet Euer Mägdlein selbst, denn mich dünkt, der Zauber, welcher sie gefangen hält, ist der natürlichste.«
Käthchen schickte sich an dem Grafen zu folgen, und der Vater schrie auf: »Da seht Ihr’s selbst, edle Herren, mein Kind, das mich sechzehn Jahre über alles liebte, mein unschuldiges, züchtiges Käthchen folgt dem Grafen von Strahl!«
»Schweig, Alter!« rief der Graf. Und zu Käthchen sich wendend sprach er mild: »Katharina, willst du mir etwas zuliebe tun?«
»Ja, hoher Herr, mein Leben gehört Euch!«
»So folge deinem Vater, und lasse dich nicht mehr auf meinen Wegen finden! Lasse dich auch auf der Strahlenburg nicht sehen, willst du nicht, daß ich dir zürne.«
Da wandte sich Käthchen zum Vater und folgte ihm, und als der Vater fragte: »Willst du nun bei mir bleiben und wieder mein gutes Kind sein?«, entgegnete sie: »Ja, mein Vater, denn ich hab’ es meinem hohen Herrn versprochen.«
Und Käthchen folgte dem Vater nach Heilbronn, der Graf aber ritt auf sein Schloß zurück.
Dreihundertundsiebzigste Nacht
Der Graf jagte, lud Gäste, besuchte seine Freunde, wie er von jeher getan, aber er war nicht mehr so fröhlich wie sonst, obgleich er sich überredete, es zu sein. Wenn ihn seine Mutter fragte: »Mein Sohn, was fehlt dir?«, entgegnete er: »Ernste Tätigkeit, Mutter, Kampf, Fehde!« Wenn ihn sein Knappe fragte: »Herr, warum seid Ihr so unwirsch?«, fuhr er auf: »Narr, laß mich zufrieden!« Und wenn er sich selbst fragte, flüsterte sein Herz: »Ein liebes Weib, ein Weib wie das Käthchen.«
Seine Mutter drang mit Bitten in ihn, eine Hausfrau heimzuführen, und der Sohn, als fürchte er, der Mutter Bitten später nicht mehr zu erfüllen, sagte rasch: »Ja, Mutter, es sei so!« Und ohne lange zu zögern, zog er aus und freite um ein Fräulein, welches weit und breit für das schönste galt.
Seine Mutter war mit der Wahl nicht ganz zufrieden, denn man sagte, Fräulein Adelgunde sei gefallsüchtig und hartherzig, aber dennoch willigte die Gräfin ein, aus Furcht, daß er das Käthchen erwähle, wenn er sich nicht bald mit einem edlen Fräulein verbinde.
Der Graf mußte gestehen, daß seine Braut schön sei, aber er war doch nicht glücklich, so freundlich sie sich auch gegen ihn bezeigte, sie blieb ihm fremd, er fragte nicht warum!
Das Fräulein, welches schon viele Ritter mit Spott und Hohn heimgeschickt hatte, fühlte sich im Besitz des schönen Strahl glücklich und war stolz, eines so mächtigen, angesehenen Ritters Braut zu sein, sie selbst beschleunigte insgeheim den Vermählungstag.
»Nun, Gott geb’ Euch Glück, Herr Graf«, sprach der alte Knappe, »hat Eure Braut ein Herz und solche Liebe wie das Käthchen von Heilbronn, so werdet Ihr glücklich sein!«
Der Graf seufzte und dachte: Ja, ein Herz wie Käthchen. Sein Waffenbruder, der Graf von Hohenburg, sagte, als er auf Strahlenburg kam, seinen Vetter zu begrüßen: »Glück auf, Vetter! Du wirst beneidet, denn als wir, eben eine große Zahl von Rittern, um die Tafel versammelt, von deiner Verlobung hörten, riefen wir insgesamt, eine schöne Braut, beinahe so schön wie das Käthchen von Heilbronn«, und als der Graf finster vor sich niedersah, rief Graf Hohenburg: »Zürne meiner Rede nicht, ein jedes Edelfräulein kann zufrieden sein, wenn von ihm gesagt wird, beinahe so schön, denn dem Käthchen kommt doch keine gleich.« Und der Graf verließ das Gemach, heftig die Türe zuschlagend.
Eduard hielt inne, die blinde Marie sagte: »Ihre Sage gefällt mir nicht mehr, denn ich sehe zwei Menschen unglücklich werden, Käthchen, das liebliche Käthchen, und den Grafen, der hochmütig das schöne Blümchen der Wiese zertritt und es endlich doch liebt!«
»Bedenken Sie, mein Fräulein, daß der Graf seine Mutter Hebt, seine Verbindung mit des Waffenschmieds Tochter für ein Mißbündnis hält, das ihm keinen Segen bringen kann, seiner Kinder Schild des schönsten Glanzes, des Glanzes tadelloser Herkunft, beraubt, denn es ist nur zu wahr, der Geist der Zeit hat auch auf unsere Denk- und Handlungsweise Einfluß, ja sogar auf unsere Empfindungen. Wir unterwerfen uns ihm!« »Leider«, sagte der Freiherr, »und die besten Menschen sind oft mehr Fürst, Edelmann, Bürger oder was sie eben ihrem Stande nach sind als reine Menschen.«
Dreihunderteinundsiebzigste Nacht
Die Kunde von der Verlobung des Grafen Strahl war auch bis zu Käthchen gedrungen, und von Stund an bat sie ihren Vater inständig, sie in das Kloster zu bringen. Vergebens bat und beschwor er Käthchen, bei ihm zu bleiben und ihm sein Alter zu versüßen. Sie erwiderte sanft: »Vater, ich kann nicht bei Euch bleiben, laßt mich im Kloster Ruhe für mein bewegtes Herz suchen, es ist besser, du weißt mich betend hinter Klostermauern, als daß du Tag für Tag mein weinend Antlitz schaust.«
Der Vater mußte sich endlich fügen und ihr eine Stelle im Kloster ausmachen. Im ganzen Gaue hieß es: »Das Käthchen von Heilbronn geht ins Kloster, der arme Vater!«
Auch der Graf Strahl vernahm es und sprach leise: »Käthchen geht ins Kloster, gottlob!«
Adelgunde, des Grafen Verlobte, hatte auch von der Schönheit der Jungfrau gehört, die sogar die ihre übertreffen sollte, und auch sie sprach »gottlob!« und lächelte spöttisch.
Doch während das Fräulein so stolz und glücklich war, hatten sich mehrere Ritter, welche sie erst angezogen und dann wieder abgewiesen, vereinigt, um Rache zu nehmen und ihr Schloß bis auf den Grund zu zerstören, sie selbst aber als Gefangene hinwegzuführen.
Im dichten Walde verborgen, wollten sie die Nacht zu ihrem Angriffe erwarten und unterhielten sich, ohne Lauscher zu fürchten, von ihren Plänen.
Das Käthchen, auf dem Weg nach dem Kloster begriffen, ruhte im Schatten der Bäume, unweit der Verschworenen, und hörte alles. Eilends erhob sie sich, teilte ihrem Vater, der mit ihr war, nur kurz mit, was sie vernommen, und flog mehr als sie ging auf das nahe Schloß des Fräuleins. Ihre erste Frage war nach dem Grafen, und kaum hatte sie erfragt, wo er sei, so eilte sie in sein Zimmer, ihn zu warnen.
Der Graf saß eben recht mißmutig da und schalt ohne Grund, übelgelaunt, seinen Leibknappen, da ging die Türe auf, und das Käthchen stand da und bat dringend um Gehör.
Der Graf ließ sie hart an: »Dirne, was willst du hier? Hab’ ich dir nicht verboten, dich nicht mehr vor mir blicken zu lassen? Verlasse augenblicklich dieses Schloß, sonst wehe dir!«
Doch das Mädchen ließ sich nicht abweisen und teilte dem Grafen alles mit, was sie gehört. Dieser rüstete sich sogleich und gab die nötigen Befehle zur Verteidigung der Burg, so daß der Feind wenig schaden konnte, aber das Schloß steckte er in Brand, ehe er sich zurückzog.
Das Fräulein, die Mutter des Grafen und andere Frauen, welche bei der Braut zum Besuche waren, flohen eilig aus dem Schlosse, der Graf, welcher keinen Feind zu bekämpfen hatte, leitete die Löschenden an.
Käthchen folgte ihm überall, ihm bald Schwert und Helm, bald Wasser reichend, und das Fräulein sah mit heimlichem Zorn, wie besorgt sich heute der Graf für das Mädchen zeigte. Sie äußerte laut den Wunsch, ein Bild aus dem Schlosse zu haben, und sogleich stürzte sich Käthchen in das brennende Gebäude und brachte das Bild.
Und noch ein Futteral mit Papieren begehrte das Fräulein, und wieder wagte Käthchen den Gang.
Doch als sie nicht wiederkam und die Flammen immer weiter vordrangen, da bot der Graf Gold über Gold für ihre Rettung und wollte verzweifeln und hinein in das brennende Gebäude. Jetzt wurde Käthchen am Fenster des Erkers sichtbar, um sie her zuckten Flammen, die Stützen unter ihr wichen der verzehrenden Glut, da sprang Käthchen aus dem Fenster, die Arme des Grafen fingen sie auf, und über ihr schwebte ein schützender Engel.
Dreihundertzweiundsiebzigste Nacht
Das Käthchen von Heilbronn wurde jetzt gepriesen von allen Zungen, die Gräfin Strahl klagte laut, daß diese reine, treue Jungfrau nur eines Bürgers Tochter sei. Der Graf suchte sie nach dem Brande überall vergebens, er wußte nichts von ihr, als daß sie lebte. Fräulein Adelgunde war höchst erzürnt über den Anteil, den ihr Verlobter an dem Mädchen nahm, sie vergaß sogar darüber, daß der Feind sich wohl zurückgezogen habe, aber nicht zurückgeschlagen sei.
Wirklich machte der Feind den anderen Tag noch einen Angriff auf das Schloß, wurde aber vom Grafen Strahl zur Flucht geschlagen.
Kaum befand sich der Graf auf dem Kampfplatze vielleicht in Gefahr, so fand sich auch schon das Käthchen ein, immer so nahe als möglich um die Person des Grafen. Um den Feind heftiger verfolgen zu können, mußte der Graf über einen Bach, Käthchen blieb am Ufer zurück, da schien es ihr, als sei ihr hoher Herr verwundet, und pfeilschnell durchschritt sie den Bach und eilte hin zu ihm, den sie frisch und rüstig kämpfend fand.
Der Graf hatte mit dem Feinde vollauf zu tun, Käthchen dachte gar nicht daran, daß sie Schutz bedurfte, was aber Gottschalk nicht vergaß, der immerdar dem Mädchen schützend zur Seite stand.
Nach einigen Stunden kehrte der Graf als Sieger heim. Seine erste Frage, als er in das Schloß kam, war die nach Käthchen. Niemand hatte sie gesehen, und das Fräulein bezeigte dem Grafen ihre Empfindlichkeit über seine Sorge um die Dirne.
Da rief der Graf zürnend: »Fräulein! Ohne das Käthchen von Heilbronn wäre Euer, jetzt größtenteils gerettetes Schloß in des Feindes Besitz oder ein Aschenberg, Ihr vielleicht in schmählicher Gefangenschaft. Um Eure launischen Wünsche zu erfüllen, stürzte sich das Mädchen, das Leben wagend, in die Flammen, einzig, weil es mir ergeben und Ihr meine Braut seid, das hättet Ihr, beim ewigen Gott, wohl nicht getan.«
Das Fräulein, statt zu bereuen, schlug ein Lachen auf und wandte ihm stolz den Rücken.
Der Graf murmelte, indem er das Zimmer verließ: »Adelgunde hätte wohl kein Cherub beschützt wie das fromme Käthchen.«
Als Eduard schwieg, wollten die Damen den Grafen wegen seiner Kälte gegen Käthchen schelten, aber er bat lächelnd: »Ich bitte, sparen Sie Ihre Kritik über ihn bis zum Ende meiner Erzählung auf.«
»Es freut mich nur«, sagte der Kaplan, »daß die Damen das Käthchen lieben. Als reine Frauen müssen sie es ja, und ich habe mich immer geärgert, wenn ich es mit anhören mußte, wenn Damen zweifelhaft waren, ob sie das Käthchen von Heilbronn zu den naiven, schwärmerischen, verzauberten oder frechen Frauenzimmern zählen sollten, und das letzte hat mich am meisten geschmerzt.«
Dreihundertdreiundsiebzigste Nacht
Der Abend senkte sich mild und lieblich auf die Flur, der Graf stand an dem hohen offenen Bogenfenster, schaute hinab in das herrliche Tal, was er sein nannte, und seufzte.
Da trat Gottschalk zu seinem Herrn und sprach: »Mit Gunst, gestrenger Herr Graf, verzeiht mir, wenn ich irre, aber ich meine, Fräulein Adelgunde —« Und der Graf unterbrach ihn unwillig: »Schweig, schweig!«
»Herr, das Käthchen –«
»Wo ist sie?«
»Ich meine, Eure Braut, Herr Graf, hat keinen guten Lohn für das Mädchen in Bereitschaft, und –«
»Wo ist Käthchen?«
»Sie wird wohl sitzen, wo sie oft zu verweilen pflegte, wenn sie in diesen Tagen nicht um Euch war, zwischen Eurer Braut Schlosse und der Strahlenburg, unter dem Holunderstrauch.«
»Sattle!« herrschte der Graf und sprengte eilends über die Zugbrücke.
Und er fand das Käthchen schlummernd, hold in sich geschmiegt, die zierlichen Strümpfchen, die der Bach bespült hatte, in den Zweigen des Holunderstrauches aufgehangen. Ihre Lippen regten sich, es schien ihm, als spreche sie im Traume, und schnell fiel es ihm ein, daß es Menschen gibt, welche schlummernd, wenn man sie darum befragt, die geheimsten Gedanken ihrer Seele verraten, und leise legte der Graf seine Hand auf Käthchens Herz und fragte:
»Wer steht jetzt vor dir?«
»Du, mein hoher Herr!«
»Liebst du mich?«
»Über alles!«
»Warum folgst du mir überall hin?«
»Mein hoher Herr, das weiß ich nicht, aber ich muß!«
»Glaubst du, daß ich dich liebe?«
»Ja, so gewiß ich an Gott glaube!«
»Aber ich habe dich ja so oft hart von mir gewiesen.«
»Oh, du liebst mich doch, mehr als du dir selbst sagst!«
»Wie lange kennst du mich?«
»Künftigen Silvesterabend zwei Jahre!«
»Käthchen, besinne dich, ich war ja erst am Abend vor Pfingsten in deines Vaters Werkstatt.«
»Ja, aber ich sah Euch am Silvesterabend im Traume, Ihr standet in meiner Kammer, und wie ich eben vor Euch niederfallen wollte, sprechend, mein hoher Herr, da kam die Magd mit Licht, und Ihr wäret verschwunden.«
Da erinnerte sich der Graf, daß er an diesem Silvesterabend schwer krank darniederliegend, ein ähnliches Gesicht gehabt habe, Käthchen selbst hatte er erblickt, und ein Engel, welcher zu ihren Häuptern schwebte, ihm zugeflüstert: »Die wird dein Weib, sie selbst des Kaisers Tochter!«
»Heilige des Himmels«, rief der Graf, Käthchen erwachte.
Sie warf sich vor ihm nieder und bat um Verzeihung, daß sie noch so nahe der Strahlenburg verweile. Er aber nahm sie mit sich auf sein Schloß, beschwor sie, nichts zu genießen, was nicht Gottschalk ihr reiche, und übergab sie seiner Mutter. Darauf ließ er satteln und sprengte mit verhängten Zügeln nach Heilbronn, sein Gefolge hinter ihm her.
Dreihundertvierundsiebzigste Nacht
Als der Graf vor dem Hause des Waffenschmieds hielt, kam ihm Meister Friedeborn mit kummervollem Gesicht entgegen, denn er hatte wieder Boten nach seinem Käthchen ausgesandt. Der Graf rief ihm freundlich zu: »Zürnet mir nicht, Meister, sondern lasset mich allein in Euerm Gemache mit Euch sprechen.« Und als er sich allein mit dem alten Manne befand, bat er ihn feierlich um die Hand seiner Tochter. Da faltete der Mann die Hände und sprach: »Herr, deine Wege sind wunderbar! So wisset denn, was vor Euch noch keiner erfuhr, daß Käthchen, obgleich ich sie liebe wie mein eigenes Kind, nicht meine Tochter ist.«
»Vor Jahren, als sie noch in den Windeln lag und mein eigenes Töchterlein eben verschieden war, wurde mir Käthchen von einem Rittersmann übergeben. Ihre Mutter war tot, ihres Vaters Namen erfuhr ich nicht, aber schwören mußte ich, sie gut zu halten und sie nicht eher zum Altar zu geleiten, bevor nicht der Kaiser seine Einwilligung zu ihrer Verbindung gegeben.«
»Wie mein eigenes Kind habe ich sie geliebt, und jetzt, Herr Graf, lasset mich auch die zweite Hälfte meines Schwures halten, lasset uns zu dem Kaiser gehen.«
Der Graf willigte sogleich ein, und der Meister Friedeborn schickte sich zur Reise an.
Ehe sie aber ihre Reise antraten, hielt ein ältlicher, hoher Mann auf stolzem Roß, umgeben von zahlreichem Gefolge, vor der Schmiede, ließ den Schmied herausgerufen und fragte nach dem Kinde, welches ihm vor sechzehn Jahren übergeben worden sei. Friedeborn erwiderte: »Die Jungfrau befindet sich bei der Frau Gräfin Strahl, Ihr aber müsset des Kaisers Abgesandter sein, daß Ihr von ihr Kunde habt!«
»Das bin ich und komme, sie mit einem edlen Ritter zu vermählen, in des Kaisers Namen komme ich.«
Da fuhr der Graf heftig auf: »Auch ich werbe um die Jungfrau, und niemand als der Kaiser selbst – ja sogar dieser nicht – soll sie mir entreißen.«
Da lächelte der alte Ritter und sprach: »Der Kaiser mag entscheiden, aber vergönnt mir, daß ich mit den Meinen auf der Strahlenburg einsprechen darf, die Jungfrau zu sehen.«
Der Graf willigte höflich ein, und sie ritten nach der Strahlenburg, der Fremde immer neben Friedeborn und im eifrigen Gespräch mit ihm.
Dreihundertfünfundsiebzigste Nacht
Als sie auf der Strahlenburg ankamen, fragte der Ritter sogleich nach Käthchen, und als das Mädchen vor ihm erschien, rief er bewegt: »Wie gleicht sie ihrer Mutter, o Katharina!« Und er hieß alle hinausgehen, bis auf Theobald und Käthchen, und weinte sehr.
Darauf ging der Ritter zur Gräfin und sprach lange mit ihr, und als er sie verlassen, ließ die Gräfin die Schloßkapelle schmücken. Durch das ganze Schloß verbreitete sich das Gerücht, der Kaiser sei da, und der Graf werde noch heute vermählt, und der Graf und seine Vasallen und die Dienerschaft legten Festgewänder an, und das Fräulein Adelgunde schmückte sich auch, obgleich ihr niemand etwas angesagt hatte. Keine Seele im Schlosse dachte mehr an sie als Gottschalk, der den vergifteten Trank an einem Hunde erprobt hatte, den Fräulein Adelgunde dem Käthchen geschickt hatte und der zum Glück in des Knappen treue Hände kam.
Im Ahnensaale des Schlosses wurde ein Thronhimmel aufgerichtet, die Gräfin, Ritter und Edle und die Damen der Gräfin versammelten sich da, und der Kaiser, in reicher Kleidung, trat mit Meister Friedeborn herein und nahm unter dem Thronhimmel Platz, und Fräulein Adelgunde erschien, stolz auf den hohen Brautführer, und wie sie sich umschaute, fiel ihr Blick auf eine überirdisch schöne Erscheinung. Käthchen trat ein, im blendend weißen Gewande, Edelknaben trugen ihr die Schleppe, und sie blickte sich verwundert um. Da stand der Kaiser auf vom Throne, ging ihr entgegen und sprach: »Sehet hier meine Tochter, Katharina von Schwaben, die ich jetzt mit dem edlen Grafen von Strahl vermähle, welcher sie geliebt und zur Ehe begehrt, als er sie noch für des Waffenschmieds Tochter hielt.«
Freudig überrascht segnete die Gräfin ihren Sohn. Adelgunde wurde zur Strafe für ihre bösen Taten in ein Kloster gewiesen, Käthchen empfing den Lohn, welcher der treuen Liebe gebührt, sie wurde und blieb des Grafen geliebtes Weib, und als sie schon bejahrt war, hieß es, wenn ältere Leute ein schönes Mädchen priesen: »Es ist beinahe so schön wie das Käthchen von Heilbronn.«
Hier endete der Erzähler. Die Frauen freuten sich über Käthchens Glück.
»Ich wundere mich«, sagte Claudine, »daß diese rührende Geschichte nicht zu einem Drama benutzt worden ist.«
»Ei, Fräulein«, entgegnete Eduard, »ich habe nur nach dem in meinen Augen besten und poetischesten Ritterschauspiele, nach Kleists Käthchen von Heilbronn, erzählt, und bin fast durchaus, auch in Nennung der Personen, dem Dichter gefolgt. Es existiert in Schwaben eine mündliche Sage von einer treuen Maid, die ihrem Herrn überall folgte und alles für ihn tat, alles um seinetwillen duldete. Aus dieser Sage bildete Kleist, soviel mir bekannt, sein süßes ›Käthchen von Heilbronn‹, das mir so lieb vor Augen steht, daß ich mir diese Dichtung gern als wahre Geschichte denke.«
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